dimanche 8 mai 2011

„Fremde“ Gefangene in Europa, Ethnisierung und Kriminalisierung sozialer Missstände in Europa – Race & Class, Heft April 2010



DAGMAR SCHATZ in Inamo 65 Informationsprojekt Naherund Mittlerer Osten Jahrgang 17 Früjahr 2011

Eine höchst angesehene, in Deutschland leider zu wenig bekannte Institution ist das „Institute for Race Relations“ in London. Gegründet 1958 als Wohlfahrtsverband (charity), wandelte es sich nach einer Neuausrichtung 1972 zum „antirassistischen Thinktank“, der zunächst den Kampf gegen den britischen (Alltags-)Rassismus aufnahmi, mittlerweile jedoch seine Perspektive und Arbeit über Großbritannien hinausii ausgedehnt hat. Das IRR gibt viermal im Jahr das renommierte Magazin Race & Class heraus. Ich will das Magazin hier vorstellen und dafür eignet sich in Deutschland im Lichte des Heisig-Sarrazin-Hypes die Ausgabe April 2010, deren beide Hauptartikel sich mit einem mittlerweile europaweit de jure und de facto implementierten Sonder(straf-)rechts für bzw. gegen Delinquenten aus marginalisierten Ethnien befassen und. auch wesentliche, zu wenig bekannte Informationen für die hiesige Integrationsdebatte liefern. Deswegen liegt hierauf der Schwerpunkt meiner Rezension.


Der erste Artikel, von Liz Fekete und Frances Webber verfasst, fokussiert „auf die schrittweise Einführung eines gesonderten Strafrechtssystems für Ausländer.

Fekete /Webber führt in ihrem Artikel über in Europa marginalisierter Gruppen aus, daß diese, als Objekte von „Xeno-Rassismus“ bereits ausgegrenzt, einem besonderen Strafrecht unterliegen, das ihre Ausgrenzung endgültig zementiert und sie härter und oft doppelt bestraft. „Xeno-Rassismus“ richte gegen jene, die sich nicht nach den Maßgaben der Mehrheitsgesellschaft assimilieren wollten, oder von denen man annehme, daß sie dazu erst gar nicht in der Lage sind. Er ist nicht von der Hautfarbe abhängig.

Wie die Autorinnen weiter ausführen, haben die marginalisierten Gruppen oft Schnittmengen: Kriminelle, Asylbewerber, Roma, Migranten. „Xeno-Rassismus“ richtet sich gegen die „Fremden“ und macht sie zu „Feinden“. Dieses Feind-Konzept, so Fekete/Webber, sei unbestimmt und letztendlich unbegrenzt erweiterbar. „Administrativen“ Xeno-Rassismus nennen sie das praktizierte unterschiedliche Recht gegenüber diesen „Feind“-Gruppen, für die man eigene Straftatbestände geschaffen hat. Ausdrücklich als Beispiele führen die Autorinnen die Vorschläge von Roland Koch an sowie die österreichische Praxis der – relativ unzugänglich gelegenen - Erstaufnahme- und Asylzentren. Hier versuche die extreme Rechte mit Kampagnen, besonders über die angeblich besonders hohe Jugendkriminalität, die etablierten Parteien vor sich her zu treiben.


Die Rechtspraxis in Europa habe sich verändert. Zwar hätten Staaten in der Geschichte ihr souveränes Recht auf Einwanderungskontrolle und ggf. auf Ausweisung stets verteidigt, doch hätten die infolge des zweiten Weltkrieges mehr in den Focus des internationalen Rechts gerückten Menschenrechte diesem Recht Grenzen auferlegt. Es sei allgemein anerkannt gewesen, daß die Universalität der Menschenrechte auch bedeute, daß jedeR in den Genuss dieser Rechte kommen müsse. Im weiteren Verlauf habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte anhand der von ihm zu verhandelnden Klagen wesentliche Rechtsprinzipien formuliert, die, zusammengefasst, aussagen, daß die Rechte des Einzelnen stets gegen die Interessen eines Staates abgewogen werden müssen. Mehrere europäische Institutionen haben wesentliche Empfehlungen formuliert, von denen sich nicht eine einzige in den deutschen Integrationsdiskurs und die Diskussion über die angeblich so hohe Kriminalität von Jugendlichen mit Migrationshintergrund wiederfindet. Für die Niederlande, Italien, Frankreich und Belgien gilt aus meiner Sicht das Gleiche.


Die Richter in Straßburg sind nicht generell gegen eine Deportation ins Heimatland, setzen dieser jedoch enge Grenzen. So wurde im Einzelnen bereits in den siebziger Jahren (sic!) des letzten Jahrhunderts geurteilt, die Deportationiii von Jugendlichen, die entweder im Gastland geboren wurden, oder als kleine Kinder ins Land gekommen sind, sei, so die Richter, ungesetzlich, wenn diese so von ihrer im Gastland verbleibenden Familie getrennt werden und keine Bindungen ans Heimatland (mehr) haben. Das Ministerkomitee des Europaratsiv – empfahl, daß ausländische Staatsbürger vor Deportation geschützt werden sollten, wenn sie minderjährig sind, oder, mehr als 20 Jahre im Gastland leben und sprach sich dezidiert gegen die Ausweisung von Minderjährigen aus. Die Autorinnen zeigen auf, daß dem in den EU-Mitgliedsländern nicht gefolgt wird. Das Verbot der Doppelbestrafung – ein elementarer Rechtsgrundsatz - wird zumindest dort verletzt, wo die Deportation eines Delinquenten seine familiären Bande zerreißt, seinen Lebenslauf unterbricht und den Charakter einer zusätzlichen Bestrafung hat. Die EU-Richter haben mittlerweile den Weg gewiesen, wie es geht: werden die vorgenannten Aspekte verneint und gelingt es, die Maßnahme als Präventionsmaßnahme darzustellen, haben auch sie nichts dagegen. Mittlerweile wurden neue Tatbestände wie „das Scheitern (an) der Integration“ eingeführt und – auf Druck der Rechten – die Hürden für eine Deportation gesenkt: im Einzelfall reicht schon eine Bewährungsstrafe von einem Monat zu Ausweisung!

Die CSU – übrigens machten neben Frankreich; Italien und den Niederlanden sehr viele Vorstöße aus Österreich und Deutschland Furore – schlug als Erste zur Landtagswahl 1998 anlässlich der Affäre um den jugendlichen Intensivstraftäter „Mehmet“ vor, neben den Tätern gleich die Eltern mit auszuweisen – wegen Versagens bei der Erziehung. Fekete/Webber fällt hierzu richtigerweise der Nazi-Begriff „Sippenhaft“ ein. Und bereits 1985 (sic!) hat ein Strafrechtler namens Jakobs den Begriff „Feindstrafrecht“ in die Debatte eingeführt und ihm das „Bürgerstrafrecht“ gegenübergestellt. Nachzulesen hierv und – original - hiervi.


Es überrascht nicht, daß für die „Feinde“ mittlerweile eigene Polizeimaßnahmen und ein separates Gefängnisregime entwickelt wurde. Fekete/Webber sprechen das an, der Beitrag von Luk Vervaet führt das aus.


Luk Vervaet ist ein belgischer Lehrer, der bei einer gemeinnützigen Organisation angestellt war, um Gefängnisinsassen die niederländische Sprache beizubringen. Seit dem 10. August 2010 ist er arbeitslos, da man ihm den Zutritt zu allen belgischen Gefängnissen verweigert. Trotz zweier gewonnener Verfahren war man weder bereit, die vage Erklärung „aus Sicherheitsgründen“ zu erläutern, noch, das Berufsverbot aufzuhebenvii.Aktuell engagiert sich Vervaet in der Sache des unrechtmäßig nach Marokko verschleppten belgischen Staatsbürgers Ali Aarrassviii, dessen Fall die hier geschilderte „Rechts“-Lage illustriert. Im März wird in der französischsprachigen belgischen Periodikum „Revue Contradictions“- ein Heft über seinen Fall erscheinen.


In seinem Beitrag, einer Rezension des Buches „the violence of incarceration“ stellt Vervaet zunächst fest, daß sich die Verhältnisse im Strafvollzug in Europa denen der USA immer mehr annähern. Der „Krieg gegen den Terror“ habe sich auch allgemein auf Strafrecht und – vollzug ausgewirkt. „Guantanamo“ und „Abu Ghraib“ seien nur die Extremfälle einer allgemein anerkannte Strafrechtspraxis. Es sei zwar richtig, daß das in Europa (noch) stark verankerte Modell von sozialer Sicherheit, Gesundheitsvorsorge und eines besseren Erziehungssystems den vollständigen moralischen Absturz Richtung US-amerikanischer Verhältnisse verhindere, doch sei dies stets durch den Vormarsch des Neoliberalismus gefährdet. Das Problem seien nicht die Unterschiede, sondern die zunehmende Annäherung der Gesellschaftssysteme – auch im Strafvollzug.

Es gebe „Sondergefängnisse“ in den Gefängnissen sowie im militärischen Einsatz erprobte „counterinsurgency“-Techniken. Die Zunahme der jugendlichen Gefangenen sei Ausdruck der zunehmenden Gewalt gegen Jugendliche, sei es im Fall des 15-jährigen „Terroristen“ Omar Khadr, oder der Jugendlichen in den Pariser banlieue, der belgischen kriminellen, der niederländischen „terroristischen“ oder der griechischen widerständigen bad boy-Zerrbilder. Der Unterschied zwischen Delinquenz und Widerständigkeit werde zunehmend verwischt. Es spanne sich ein Netz von Guantanamo-artigen Gefängnissen um die Welt, der Ruf nach Abschaffung eines besonderen Jugendstrafrechts werde lauter.

Vervaet sagt voraus, daß, im Zusammenhang mit den europaweiten sozialen Unruhen, wie z.B. in Griechenland, das Thema Bestrafung und Gefängnis einen zentralen Stellenwert einnehmen wird.


Das Thema wird „abgerundet“ durch einen Kommentar zur Ausbeutung in den mittlerweile in „immigration removal centres“ umbenannten „detention centres“, die nur zum Teil mit „Abschiebeknast“ zu übersetzen sind, da die Menschen dort, wegen des Verdachts auf illegalen Aufenthalt/Grenzübertritt,im Gegensatz zum Abschiebeknast, festgehalten werden, bis die Entscheidung über Asyl, Visum oder Abschiebung gefallen ist. Diese „Zentren“ werden mehrheitlich von privaten Firmen – im Auftrag der öffentlichen Hand – betrieben. Man „darf“ arbeiten und wird ausgebeutet.


Im Heft findet sich noch ein Essay über „militärischen Keynesianismus“, der beschreibt, wie man mittels des militärisch-industriellen Komplexes versucht, die Wirtschaft anzukurbeln und auffordert dazu Alternativen zu entwickeln; ein weiterer Essay beschreibt die Folgen der Globalisierung in der textilproduzierenden bengalischen Stadt Barisal und sieht sie als emblematisch für viele Städte nicht nur in der Dritten Welt. Vervollständigt wird das Heft mit weiteren Rezensionen.


Meine Absicht war es, anhand dieses Heftes und seines zur Zeit auch den deutschen Integrationsdiskurs bestimmenden Hauptthemas die Reihe Race & Class als eines der Arbeitsfelder des Instituts für Race Relations (IRR) vorzustellen. Ich denke, daß die Ergebnisse und Publikationen des IRR auch in der deutschen Debatte mehr präsent sein sollten um deutsche Debatten in einen „europäischeren“ Kontext zu stellen und mit den Ereignissen andernorts – z.B. den Volksaufständen in der arabischen Welt – verbinden zu können.


i Mehr in dieser Präsentation: http://www.irr.org.uk/irr_history/

ii S. den Bericht von Dr. Sabine Schiffer über das vom IRR am 20. Oktober 2010 in London organisierte „Koordinationstreffen gegen Islamophobie“: http://www.medienverantwortung.de/wp-content/uploads/2009/10/20101027_IMV-Schiffer_IRR-London.pdf

iii Ich wähle, wie Fekete/Webber auch, den Begriff „Deportation“ anstatt eines beschönigenden „Ausweisung“, „Repatriierung“ etc., da er das Gewaltförmige deutlich macht. Wer deportiert wird, wurde vorher elementarer Rechte beraubt!

iv Besteht aus den Außenministern und/oder ihren Stellvertretern. http://www.coe.int/t/d/Ministerkomitee/intro.asp#wer

1 commentaire:

  1. Dagmar Schatz is a Nazi!

    This woman is a fascist that hates russians and people from Eastern Ukraine!

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